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"Die Musik muss im Zentrum stehen"

by Thomas Burkhalter
nOrient.com
Decenber 12, 2002

Ägyptens Gesangslegende Umm Kulthum tänzelt auf der Grossleinwand: Vor und zurück auf Kommando des Berner Visual-Künstlers Michael Spahr, der in ein Palästinensertuch gehüllt hinter seinem Laptop sitzt. Der Trompeter und Elektronik-Tüftler Werner Hasler überträgt derweil Knackgeräusche, Beats und Sounds von seinem Computer auf die Lautsprecher. Dazu intoniert Kamilya Jubrans Stimme Melismen. Die Palästinenserin aus Ostjerusalem scheint in ihrem Element: singt mit immenser Dringlichkeit und Spannung, sucht die Balance zwischen improvisatorischer Spontaneität und technischer sowie konzeptueller Präzision. „Dass Palästina keine alte, strikte Musiktradition kennt und von keiner etablierten politischen Führung geleitet wird, kann für eine Musikerin auch von Vorteil sein: Ich habe gewisse Freiheiten“, sagt sie nach dem Konzert. Sie lächelt. Nachdenklich.

Kamilya Jubran wurde 1963 in Akko geboren. Sie reist mit israelischem Pass und fühlt sich als Palästinenserin, nicht als israelische Araberin. Seit fünf Monaten ist sie Gast in Bern: zunächst auf Einladung der Kulturstiftung Pro Helvetia, dann privat bei Musikern, Veranstaltern und Freunden. Mit Schweizer Musikern aller Genres hat sie sich getroffen, ist im Tonus Labor des Berner Saxophonisten Don Pfäffli aufgetreten und hat im Schlachthaus Theater Bern ihr neustes Programm „Mahattaat“ („Stationen“) vorgestellt. Oft klingelt ihr Mobiltelefon; sie ist ein kontaktfreudiger Mensch, sucht aber nie den oberflächlichen Austausch. Als Künstlerin geht sie keine Kompromisse ein. Sie schlägt Einladungen zu Palästina-Veranstaltungen aus, weil da nicht die Musik im Zentrum stehe, und sie tritt nicht mehr mit israelischen Künstlern auf, weil die kurzfristigen „interkulturellen“ Dialoge meist keine interessanten künstlerischen Ergebnisse hervorbrächten. „Die Kontakte zwischen israelischen und palästinensischen Musikern sind fast alle abgebrochen“, erzählt sie: „Treffen sie doch mal aufeinander, zählt das Ereignis, selten die Kunst.“

Kamilya Jubran und ihre von Said Murad gegründete Gruppe Sabreen werden im „Rough Guide of World Music“ als einflussreichste Politband Palästinas gepriesen. Die Gruppe hat ihre auf der ganzen Welt verstreute Hörerschaft von Album zu Album mit neuen musikalischen Bezügen und Konzepten auf die Probe gestellt und war nie nur politisches Sprachrohr. Damit ist Sabreen typisch für eine Musikszene Palästina, die sehr eigenständig mit ihren kulturellen Wurzeln und Einflüssen umgeht. Als renommierte Band in Ostjerusalem zu überleben, sei allerdings nie einfach gewesen, betont Jubran. Die ersten beiden Alben „Smoke of the Volcanoes“ (1983) und „Death of the Prophet“ (1987) wurden in Israel eingespielt; den Vertrieb hatte man selber zu übernehmen, weil die Israeli ein palästinensisches Album kaum vermarkten konnten. „In Palästina hatten wir nie eine Musikindustrie mit Labels, Produzenten und Vertrieben. Für alternative, experimentelle Stile gibt es nichts. Einzig Popkassetten von bescheidener Qualität wurden und werden eingespielt. Copyrights fehlten und fehlen, die Raubkopiererei scheint ein unlösbares Problem.“ Aus der Not heraus gründeten Sabreen und lokale Kulturorganisationen 1989 „The Sabreen Association for Artistic Development“. Bis heute fördert die Organisation junge Musiker und versucht, bei einer breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein für ihre Kultur zu schaffen. Vor kurzem wurde zum Beispiel die CD von Maz'ooj herausgegeben, auf der Said Murad mit jungen palästinensischen Künstlern eine eigenständige Musik formt, wie sie im Nahen Osten zur Zeit kaum zu hören ist: modern in Konzept und Sounds, und doch verwurzelt in nahöstlichen Traditionen. Freuen kann sich Jubran über die Komplimente des Journalisten kaum: „An jedem Tag kann zerstört werden, was wir in all den Jahren aufgebaut haben.“ Sie fühlt sich abgeschnitten von der Welt. Der Kontakt zu arabischen Ländern sei gleich null, allein zu Jordanien gebe es Verbindungen – spannende musikalische Projekte entstünden dabei nur selten. In Ägypten konzertierten Sabreen gerade mal 1990 und 2001 – wenig für eine Gruppe, die in der ganzen arabischen Welt bekannt ist. In Beirut aufzutreten sei einer ihrer grössten Träume, fügt Jubran an, als Künstlerin mit israelischem Pass bleibe ihr der Zugang zum Nachbarland aber wohl bis auf weiteres verwehrt. „Einzig an Festivals im Westen treffen wir auf arabische Künstler. Ein Netzwerk von Musikern wäre wichtig, kaum einer aber hat Zeit und Geld, um solche Kontakte zu pflegen. Wir haben andere Sorgen.“

Seit einigen Jahren wird Sabreen auch von europäischen Organisationen unterstützt. Kunst und Kultur seien für diese aber meist Nebensache, und eine Unterstützung an Konditionen geknüpft: „Ein Künstler muss in den Bereichen Aus- und Weiterbildung arbeiten oder sich Gender-Fragen widmen, um finanzielle Hilfe zu erhalten.“ Man solle sie nicht falsch verstehen: „Diese Organisationen spielen eine sehr positive Rolle. Sich als palästinensische Sängerin einzig und allein der Kunst zu widmen, ist aber ein Luxus. Und selbst, wenn man die nötigen Kompromisse macht, gibt es keine Sicherheiten: Wird das Geld knapp, spart man als erstes im Bereich Kultur.“

Auf den Weltmusik-Markt hofft die Gruppe nicht. Jubran hat ihre Erfahrungen gemacht und sagt heute provokativ: „Die Weltmusik-Industrie will keine starken Künstlerpersönlichkeiten.“ Warner Music wollte die Sängerin, nicht aber ihre Gruppe unter Vertrag nehmen. „'Eine Sängerin lässt sich vermarkten, eine Gruppe nicht', sagte man mir. Und wie ich darauf beharrte, als Teil von Sabreen behandelt zu werden, zogen sich die Produzenten schon fast beleidigt zurück.“

Als einzige Möglichkeit, weiterhin ihrer Arbeit nachzugehen, blieb für Kamilya Jubran die Flucht nach vorne. Auftrittsmöglichkeiten gibt es heute in Palästina und Israel keine, und die Intifada habe fertiggebracht, dass erstmals seit zwanzig Jahren jedes Gruppenmitglied mit eigenen Problemen kämpfe und ein Wir-Gefühl verlorengegangen sei. Von der Schweiz und vor allem vom alternativen Berner Kulturzentrum Reitschule, schwärmt sie: „Von solchen offenen Kulturorten können wir in Palästina nur träumen – und dies wohl noch lange.“

Sie ist in die Schweiz gekommen, um ihre künstlerischen Visionen zu verwirklichen. Ihre audiovisuellen Versuche im Konzert in Bern mit Werner Hasler, Sarah Murcia und Michael Spahr wirken nie aufgesetzt. Quellen ihres Musizierens und Singens sind die Kompositionen und Lieder von Mohammad Abdel Wahab und Umm Kulthum geblieben. Wichtig ist auch Sayyid Darwish, der ab 1910 westliche Instrumente und Harmonien mit arabischen Musikformeln verband und textlich die Lebenswirklichkeiten des ägyptischen Volkes darzustellen versuchte. Jubran kontrastiert diese Musikwelten mit neuen Instrumenten und Klängen: experimentiert mit musikalischen Konzepten, bricht Rhythmen auf und geht auf die Essenz zurück. „Ich suche nach einer ehrlichen Musik. Ich will mich und mein Leben darstellen. “ Eines stimme sie zuversichtlich, sagt sie dann noch: „Schweizer Musiker empfinden künstlerisch und konzeptuell nicht völlig anders als ich. Ich weiss jetzt, dass ich nicht hinter dem Mond lebe, und mir ist klar geworden, dass ich nicht als einzige gegen Widerstände ankämpfe: Schweizer KünstlerInnen haben es auch nicht leicht.“